TRANSMUTATION: NEUES VERFAHREN, WIE ATOMMÜLL UNSCHÄDLICH GEMACHT WERDEN KANN

Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Atommüll unschädlich machen wollen. Damit rauben sie Kernkraft-Gegnern viele Argumente.

Die Transmutation ist keine Utopie mehr. Irgendwann wird der Atommüll nicht mehr strahlen, vielleicht schon sehr bald. Foto: DPA

Die Transmutation ist keine Utopie mehr. Irgendwann wird der Atommüll nicht mehr strahlen, vielleicht schon sehr bald. Foto: DPA

Mit einem Lächeln lesen wir heute über die Alchemisten, die zu Beginn der Neuzeit sich anschickten, in die Grundlagen unserer Welt einzugreifen, die aus einem chemischen Element ein anderes herstellen wollten. Ihr Hauptziel: aus unedlen Metallen Gold herstellen. Helfen sollte der Stein der Weisen, doch wurde er nie ge- oder erfunden. Er blieb ein Mythos.

Heute weiß man, warum die Alchemisten im 15. und 16. Jahrhundert trotz ihrer Mörser und Stößel, trotz Retorten, Serpentinen und anderen Gerätschaften, in denen sie es blubbern und zischen ließen, nicht zum Ziel kommen konnten.

Ein Element in ein anderes zu verwandeln, an der Wertigkeit der Urstoffe zu manipulieren war den vom Urknall aufgeladenen Kräften des Kosmos vorbehalten. Der Mensch war zu klein und schwach dafür.

Das änderte sich seit dem Einstieg ins Atomzeitalter. Himmlische Kräfte werden frei im Reaktor, die Atomkerne spalten sich – und herauskommt bei diesem Prozess, der nun schon ein halbes Jahrhundert anhält, nicht nur elektrische Energie, sondern auch das, was mancher als die teuflischsten Elemente ansieht: giftiger, ewig strahlender Atommüll.

So weit und so sicher, wie es irgend geht, müssen wir ihn uns vom Leibe halten. „Müll für Millionen Jahre“ titelte jetzt eine große Zeitung, als die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert wurden. Noch mehr Müll kommt nun, in der Tat. Aber muss er wirklich strahlen, Millionen Jahre?

Lange Zeit galt es als ausgeschlossen, als undurchführbar, den hochradioaktiven Abfall unschädlich zu machen, die strahlenden Elemente in harmlose, nicht strahlende zu verwandeln. Das, was im Reaktorkern passiert, sei nicht gezielt rückgängig zu machen, hieß es. Eigentlich doch eine Herausforderung für Forschung und Technik, aber die Fachleute winkten nur ab, unter Hinweis auf die kosmischen Kräfte, über die man nicht verfüge.

Doch auch diese Zeiten sind vorbei. Seit Mitte der 90er-Jahre wird die Herausforderung angenommen. „Transmutation“, der Begriff steht heute, vier Jahrhunderte nach den Alchemisten, für die Umwandlung eines Elementes in ein anderes durch Menschenhand.

Das Prinzip funktioniert. Bemerkenswerterweise ohne dass dies breiter bekannt wäre in der Öffentlichkeit, obwohl die derzeit wieder, mit wachsenden Emotionen, über die Atomkraft diskutiert. Und deren Gegner vor allem ein Argument immer wieder anführen: den Atommüll, der für Millionen Jahre ein Problemfall bleibe, die ungelöste Frage eines sicheren Endlagers.

Die Transmutation ist keine Utopie mehr. Ja fast ist es schon Routine, die Dauer der radioaktiven Strahlung bei den gefährlichsten Abfall-Elementen von einigen Hunderttausend Jahren in historische Zeiten von unter 500 Jahren entscheidend zu reduzieren.

Allerdings nur im Labormaßstab, längst nicht in den Größenordnungen, mit denen man die vielen Tonnen hochradioaktiver Materie aus den Kernkraftwerken entschärfen könnte.

Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem früheren Atomforschungszentrum, gehört zu jenen Ingenieuren, die heute daran arbeiten, dass die Menschen in Millionen von Jahren – wenn sie dann noch leben – keinen Grund haben, die heutige Generation zu verdammen.

Knebel, 47-jähriger Leiter des Programms Nukleare Sicherheitsforschung am KIT, inspiziert in einer Halle im Norden Karlsruhes ein unergründliches Geflecht aus Rohren, die dick eingepackt sind in Isoliermaterial, das wiederum von Aluminiumfolie geschützt ist.

Es wird heiß in den Rohren, ein paar Hundert Grad. So heiß, dass die Vorgänge im Innern mit einer flüssigen Mischung der Metalle Blei und Wismut „gekühlt“ werden müssen. Monitore im Nachbarraum dokumentieren den KIT-Forschern, ob alles nach ihren Vorgaben läuft.

Noch wird hier kein strahlendes Atom in ein harmloses Teilchen umgewandelt. In ihrer Werkshalle wollen Knebel und seine Mannschaft lediglich prüfen, was für Anlagen ein solcher Prozess erfordert, welche Materialien die immensen Temperaturen aushalten, wenn dereinst Tonnen von Atomabfällen verarbeitet werden.

„In europäischer Kooperation wollen wir die Anlage in den nächsten vier Jahren detailliert auf dem Papier entworfen haben, in zehn Jahren könnte sie stehen“, sagt Knebel. Im vergangenen Monat hat die EU beschlossen, die Demonstrationsanlage im belgischen Mol bauen zu lassen.

Das KIT, ein Institut der zu 90 Prozent vom Bund finanzierten Helmholtz-Gemeinschaft, arbeitet mit mehreren Partnerinstituten in der EU zusammen. Auch in den USA, auch in Japan und anderen Ländern forschen Kernphysiker und Ingenieure an der Transmutation, das KIT zählt hierbei zur Weltspitze.

Unkompliziert ist es nicht, was sich die Atomphysiker da in den 90er-Jahren erdacht haben, was zunächst als utopische Vision abgetan wurde, seit drei, vier Jahren aber in der Wissenschaft als anerkanntes Prinzip gilt:

Ein Teilchenbeschleuniger schießt durch ein Vakuum Protonen auf ein schnell fließendes erhitztes Metall, ein „Target“, aus dem sich dadurch Neutronen lösen, die wiederum zum hochradioaktiven Abfall schießen, um dessen Atome in nur noch schwach strahlende Teilchen umzuwandeln.

Während es vor wenigen Jahren noch hieß, dieser Prozess verschlinge so viel Energie, dass er nicht zu verantworten sei, gehen die Forscher heute davon aus, dass die Transmutationsanlage, quasi ja auch ein Kernreaktor, ihrerseits Strom liefert – ohne neuen Abfall zu produzieren.

„Etwa 15 Prozent dieses Stroms würde der Teilchenbeschleuniger benötigen, die Anlage selbst auch noch etwas, und der Rest könnte ins Netz gespeist werden“, freut sich Knebel, betont aber, dass der Betriebszweck die Umwandlung des Atommülls sei, nicht die Stromerzeugung.

Noch stehen Knebel und seine internationalen Kollegen vor einem Berg ungelöster Probleme. Das größte: den Atommüll so in seine Bestandteile zu zerlegen, dass diese in jeweiliger Sonderbehandlung „transmutiert“ werden können. Auch dieser Vorgang ist im Labormaßstab Routine, sind „Liganden“ gefunden, chemische Elemente, die die einzelnen strahlenden Atome erkennen, sich mit ihnen verbinden und greifbar machen.

Doch dieser Trick lässt sich eben nicht einfach auf große Mengen übertragen. Dabei hat Knebel hohe Ansprüche: „Ziel ist es, aus den abgebrannten Brennstäben die hochradioaktiven Isotope zu 99,99 Prozent für die Transmutation aufzubereiten.“

Das Plutonium herauszufischen ist kein Problem, doch die „Minoren Aktinide“, wie Neptunium, Americium und Curium, die nur in sehr geringen Mengen im Abfall vorkommen, dafür aber um so heftiger strahlen, sind nur schwer zu greifen. Insbesondere Forscher in Frankreich arbeiten daran, diese Abfalltrennung zu perfektionieren.

Knebel meint, dass das Problem in 20 Jahren gelöst ist, es wäre „der wesentliche Schritt hin zu unserem Ziel, eine 300-Megawatt-Anlage mit Transmutationselementen zu versorgen und betreiben zu können.“

Die anderen Schwierigkeiten, wie die Materialfragen, das Kühlsystem, die Isolierungen, dürften bis dahin gelöst sein, da ist der Karlsruher Forscher guter Hoffnung. Die Demonstrationsanlage in Mol könnte also in den ersten Jahren noch nicht mit sortenreinem Atommüll beschickt werden, um ihn zu entschärfen.

Transmutation ist nur ein Randthema

Auch wenn die Transmutation im öffentlichen Diskurs über die Atomkraft, über den Millionen-Jahre-Müll, keine Rolle spielt: Fachmagazine, auch die Wissenschaftsseiten der Zeitungen informieren ab und zu über den Stand der Forschung. Auch taucht der Begriff in den Diskussionen der Blogs von Umweltverbänden auf, etwa bei Greenpeace.

Teils durchaus in sachlich abwägendem Ton. Der Energiesprecher von Greenpeace indes lehnte die Transmutation ab, er ziehe die Endlagerung vor. Ein Schelm, wer dabei denkt, das Problem der Entsorgung solle als Druckmittel vorerst ungelöst bleiben. Was wäre die Anti-Atom-Bewegung ohne Castortransport?

Ob es 20 Jahre oder dann doch 30 Jahre sind, bis die Transmutation industriell anläuft, sollte keinen Unterschied machen. Und ob der Atommüll wirklich Millionen von Jahre strahlt, mag sich jeder selbst ausrechnen, der den immer schnelleren technischen Fortschritt seit den Alchemisten bis heute bedenkt. Man kann wohl behaupten: Es wird keine Million Jahre dauern, bis auch die verbleibenden letzten 500 Jahre Strahlung entschärft sind.

Quelle: welt-online

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